Maria Theresia Paradis ist 18 Jahre alt und seit der frühen Kindheit blind. Bereits jetzt eine begnadete Pianistin, wird sie in Wiener Salonkonzerten hoch gefeiert, aber auch ein bisschen von der Seite angeschaut. Wie sie so am Hammerflügel spielt und die Augen verdreht, also spielen tut sie ja hervorragend, nur komisch sieht’s manchmal aus. Zwei junge Konzertbesucherinnen lächeln sich gegenseitig schief zu, während Paradis eine Zugabe nach der anderen unter Bravorufen spielt.

Hinterher, nach dem Konzert, kommen die Konzertbesucher vorbei, um Resi zu gratulieren und ihr ihre Bekannten und Freunde vorzustellen. "Wie berührt ich war von Ihrem Spiel", sagt die junge Frau von vorhin.

Hand aufs Herz und weitergelogen.

Das ist der Beginn des Films "Licht", 2017 gefilmt mit Barbara Albert in der Regie. Ich möchte dir heute diesen Film empfehlen.

Nicht nur, weil die Protagonistin Berufsmusikerin ist, Clavierspielerin und Frau in einer schwierigen Zeit für Musikerinnen und Frauen, im Wien zwischen Rokkoko und Aufklärung.

Der Film erforscht ein Kapitel aus dem Leben der Künstlerin, eine wahre Begebenheit, als Maria Theresia Paradis sich in die Behandlung des Arztes Franz Anton Mesmer begibt. Dessen Methoden, wie soll ich sagen, selbst für heutige Standards ich als durchaus fortschrittlich und teilweise undurchsichtig bezeichnen würde.

Das verblüffende ist, Mesmer gelingt mit seiner Behandlung, dass Paradis ihr Augenlich wiedererlangt. Gott sei gedankt! Ein Wunder ist geschehen! Die junge Künstlerin beginnt, die Welt mit ihren Augen neu zu erforschen. Innerhalb dieses Prozesses wird jedoch bald deutlich: mit der Verbesserung der Sehkraft verliert sie immer mehr an musikalischem Talent. Alles, was ihr vorher leicht fiel, ist auf einmal schwierig, unmöglich. Resi versteht die Welt mehr.

Sie sieht sich vor die Wahl gestellt.

Sie muss sich entscheiden zwischen einem Leben als Sehende, in der sie dazugehören und ganz neu in Kontakt mit der Welt treten kann, und einem Leben als Blinde, in der sie ganz genau weiß, wer sie ist und in der sie sich in der Anerkennung anderer badet. "Am Clavier, da fühl’ ich mich wie ein General."

Es geht in diesem Film letztendlich um Identität. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr spielen kann? "Ich möcht’ niemand sein, der nichts kann und nichts ist." sagt Maria Theresia an einem Punkt.

Ich sehe so viele Verbindungen zu uns in dieser Zeit und deshalb finde ich diesen Film gerade jetzt so relevant. Gerade in den letzten Wochen mussten viele von uns Entscheidungen treffen; teilweise schwierige, teilweise notwendige Entscheidungen. Und gerade jetzt hadern viele Musiker*innen mit ihrer Identität.

"Wer bin ich, wenn ich keine Konzerte mehr spielen darf?"

Die Macht zu entscheiden haben wir immer. Auch wenn wir denken, dass wir keine haben.

Die Frage ist, aus welchem Platz in uns wir entscheiden.








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